Barrierefreiheit

 Wer in Preetz mit einem Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl die Stadverwaltung aufsuchen will, ist auf fremde Hilfe angewiesen. Für manche/n RollstuhlfahrerIn ist es eine Tortur über den Markt zu kommen. Und nicht jeder von ihnen kommt in die Schwimmhalle. Andere Menschen tun sich schwer bei Bildung und Kultur. Es gibt viel zu tun!

Die heutige Situation

Das Problem beginnt mit der Wortwahl: Sprechen wir von Behinderten? Von Menschen mit Behinderung? Von Handicap? Gleichviel: Menschen in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt haben Schwierigkeiten sich so zu bewegen, dass sie in gleicher Weise und in gleichem Maße Teil haben an den Möglichkeiten, die sich dem Rest der Bevölkerung bieten. Dabei können diese Schwierigkeiten sehr unterschiedlicher Natur sein, für Blinde, für Gehbehinderte, für Menschen mit geistigen und seelischen Einschränkungen, mit einer anderen sozialen Herkunft. Wer sich gesund auf beiden Füßen durch Preetz bewegt, wessen Eltern bereits Ausbildung und Beruf haben, kann häufig nicht ermessen, wie hoch die Hürden sind.

Beispiel Rathaus:

Das Rathaus ist ein 140 Jahre altes denkmalgeschütztes Gebäude, das man über zwei jeweils vierstufige Treppen betritt. Vorne gibt es keine Möglichkeit, mit einem Rollstuhl oder auch nur mit einem Kinderwagen ohne fremde Hilfe ins Haus zu kommen. Man kann den Hintereingang benutzen und kommt dann über eine Rampe in den Vorraum des Sozialamtes, dunkel, verwinkelt und abseits des hellen, freundlichen Bürgerbüros.

Beispiel Bauamt:

Da käme man zwar ebenerdig hinein, es gibt aber keine Möglichkeit, die Tür elektrisch zu öffnen, die im übrigen auch nicht breit genug ist für jeden Rollstuhl. Hat der Rollstuhlfahrer es trotzdem hinein geschafft, muss er die Mitarbeiter des Bauamtes herunterbitten, hat aber nicht die Möglichkeit, sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen, geschweige denn, eine Tür hinter sich zu schließen, um Dinge zu besprechen, die nur ihn und den Sachbearbeiter etwas angehen.

Beispiel Wilhelminenstraße 6:

Wer die Stadtkasse oder die Gleichstellungsbeauftragte aufsuchen will, findet zwei Stufen vor und eine zu schmale Tür. Mit Glück findet man die Klingel unter dem Handlauf. Wenn es regnet, steht man auch hier – im Regen.


Es lassen sich andere Beispiele finden. Der gern zitierte Bahnhof gehört nicht dazu, hier gibt es die Möglichkeit, von einem Gleis zum anderen zu kommen, indem man den Fußweg unter der Bahn nimmt. Wenn Sie das für zu lang halten: eine normgerechte Unterführung mit maximal 6 % Gefälle wäre nur unwesentlich kürzer, Aufzüge wären störungsanfällig und unzuverlässig. Aber wie kommt ein alter Mensch zum Einkaufen und mit vollen Taschen wieder nach Hause? Wann haben Sie das letzte Mal einen Menschen mit geistiger Behinderung (da ist es wieder, dieses Wort) bei einem öffentlichen Konzert gesehen, im Kloster oder im Wehrberg? Welchen Zugang zu Bildung haben die, deren Eltern keinen Schulabschluss haben?

Ein freundlicher alter Herr hat mit sein Leid geklagt mit dem Natursteinpflaster in der Lange Brückstraße und auf dem Markt. Ich habe das der Stadtvertretung berichtet, alle waren voller Verständnis, das Thema beschäftigt nun die Ausschüsse für Soziales und für Tiefbau. Die Hilfsbereitschaft ist da, es fehlt nur oft die Erkenntnis oder das Bewusstsein für die Probleme.

Was ist zu tun?

Es gilt, die Herausforderung einzelner zur Herausforderung aller zu machen. Bauliche Lösungen, am Bauamt, in der Wilhelminenstraße 6 und auf dem Markt, sind schnell gefunden. Und dann? Kann uns ein Beauftragter / eine Beauftragte helfen? Brauchen wir einen Beirat der Menschen mit den je unterschiedlichen Problemen oder ist es nicht vielmehr Aufgabe aller, die Augen aufzuhalten und Probleme zu erkennen und zu benennen? Bitte sagen Sie mir Ihre Meinung!


Was sagen Sie dazu?

 

Ich freue mich, wenn Sie mir Ihre Meinung sagen!

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Kommentare: 2
  • #1

    Nick (Dienstag, 30 Juni 2015 10:38)

    Sehr geehrter Herr Birk,

    mit dem Mauerfall 1989 in Berlin verbinden viele Menschen die Aufhebung der deutschen Teilung von 1949 - 1989. Die Mauer in Berlin war ein weltweit bekanntes Sinnbild für die unüberwindbar scheinende Barriere zwischen Ost und West. Durch den Mauerfall lernten wir, dass Barrieren überwindbar sind.

    Barrieren in unseren Köpfen, nicht nur zwischen Ost und West, gibt es aber immer noch. Die Niederschrift der Grundrechte für Menschen mit Behinderungen durch die Vereinten Nationen, weist uns alle darauf hin, dass jeder Mensch die gleichen Grundrechte haben sollte. Die Würde jedes einzelnen ist unantastbar. Leider wird diese Würde oft verletzt, weil noch viele Menschen glauben, dass sie wissen, was normal ist und was nicht.

    Menschen grenzen andere aus, bauen oder erhalten Barrieren ohne darüber nachzudenken. Deshalb denke ich, dass wir alle beginnen sollten, an einem "Zweiten Mauerfall" zu arbeiten.

    Um eine Gesellschaft zu werden, die keinen außen vor lässt, brauchen wir die Beteiligung möglichst vieler Menschen, die vorschlagen, wie wir uns verändern könnten. Inklusion darf nicht von oben übergestülbt werden, nicht von Wissenschaftlern, nicht von (Kommunal-) Politikern und auch nicht von anderen selbsternannten Experten. So wird es nicht funktionieren.

    Experte für sein Leben ist jeder selbst.

    Es müssen Barrieren im Kopf abgebaut werden.

    Drei Fragen an Sie:

    1. Ist behinderungsgerechtes Bauen gleichzusetzen mit barrierefreies Bauen?

    2. sind Kinder und Jugendliche, Senioren und Menschen mit Handicap den gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen zuzuordnen? Welche der drei oben genannten Gruppen erachten Sie nicht als gesellschaftlich bedeutsam?

    3. Es gibt eine Gruppe in Preetz, welche sich für ein barrierefreies Preetz einsetzt. Welche Möglichkeiten sehen Sie, dieser Gruppe regelmäßig kostenlose Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und ggf. als Bürgermeister zu unterstützen?

    Im Voraus vielen Dank für Ihre Antworten

    Mit freundlichen Grüßen
    Nick

  • #2

    Jan Birk (Montag, 06 Juli 2015 08:51)

    Sehr geehrter Nick,
    vielen Dank für Ihren interessanten Kommentar. Besonders gefällt mir der Satz „Es müssen Barrieren im Kopf abgebaut werden.“, der ihre politischen und sozialen Gedanken zusammenfasst.
    Zu Ihren Fragen:
    1. Der Begriff behinderungsgerechtes Bauen weist über das barrierefreie Bauen hinaus: Barrierefreiheit ist nicht immer in vollem Umfang möglich, nehmen Sie das denkmalgeschützte historische Preetzer Rathaus. Wo wir also Barrierefreiheit nicht erreichen, sind wir aufgerufen, uns andere Lösungen zu überlegen, die Teilhabe auch mit Handicap möglich macht. So verstehe ich behinderungsgerechtes Bauen.
    2. Die Frage beantwortet sich danach, ob sich die von Ihnen genannten Menschen einer gemeinsamen Gruppe zugehörig fühlen und gemeinsame Anliegen formulieren. Das Wort „Senior“ beschreibt einen Anteil von ca. einem Viertel unserer Bevölkerung, dessen Gemeinsamkeit sich in seinem Alter erschöpft. Ich habe daher Schwierigkeiten, hier eine Gruppe zu sehen. Die Kinder und Jugendlichen hingegen müssen erst lernen, gemeinsame Anliegen zu formulieren und in den gesellschaftlichen Willensbildungsprozess einzubringen. Bis sie es gelernt haben, sind sie häufig keine Kinder und Jugendlichen mehr. Ich kenne dieses Problem aus der Gewerkschaft, wo es schwierig ist, eine kontinuierliche Arbeit aufzubauen.
    Anders sieht es mit den Menschen mit Handicap aus, darunter viele Senioren. Hier vermute ich durchaus ein solches Maß an Gemeinsamkeiten, dass sich Menschen zusammenfinden und gemeinsam gemeinsame Interessen vertreten. Auf der Hand liegt aber auch das nicht: Es gibt unterschiedlichste körperliche, geistige, soziale und seelische Handicaps und das Problem, dass manche dieser Menschen sich selbst nicht oder kaum artikulieren können. Das macht ihr Anliegen nicht weniger wichtig.
    Zusammengefasst: die Senioren sehe ich nicht als Gruppe und bei den Kindern und Jugendlichen sehe ich Probleme bei der Entwicklung politischer Relevanz. Anders bei Menschen mit Handicap: hier sehe ich in der Tat eine Gruppe mit gesellschaftlicher Bedeutung.
    3. Die Stadt Preetz hat einen Ratssaal, der schon jetzt zumindest über die Hintertür barrierefrei erreichbar ist. Auch die Freiwillige Feuerwehr Preetz hat Schulungs- und Tagungsräume, die ohne Einschränkungen zugänglich sind. Die räumlichen Möglichkeiten sind also da und können nach Absprache genutzt werden. Gedanken und Vorschläge dieser Gruppe will ich gerne aufnehmen und in die Diskussionen innerhalb der Verwaltung und in der Kommunalpolitik einbringen. Ich bitte um eine Einladung zu einem der nächsten Treffen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Jan Birk